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Erfahrungen einer Seelsorgerin

Erfahrungsbericht von Claudia Stoll, Seelsorgerin im KZU Embrach
11. Oktober 2024 Spitalseelsorge

Seelsorgende Sprungfedern

Verkleidete Worte - Fantasiewörter, wie losgelassene Sprungfedern durchqueren sie gesprochene Sätze und Unterhaltungen. Erwartungsvolle Augen suchen nach Anerkennung, Bestätigung oder Reaktion. Wo ist hier Glaube und Spiritualität zu finden?

Das ist mein Alltag im Pflegezentrum mit Schwerpunkt Demenz.

 

In der Seelsorge mit Menschen die an Demenz leiden, sind Gespräche oft ein Tanz auf einem schmalen Grat. Die Sprache verliert ihre Struktur, es sind assoziative Sprachmuster, die auf emotionalen Erinnerungen und Gefühlen beruhen. Hier ist es meine Aufgabe, nicht nur zuzuhören, sondern auch die Stimmung wahrzunehmen und angemessen zu reagieren. Ein mitfühlendes Lächeln, ein sanftes Nicken oder ein offenes Staunen, diese nonverbalen Reaktionen schaffen Nähe und Verständnis. Es ist eine emotionale Resonanz, welche Gefühle wie Sicherheit und Wertschätzung zum Schwingen bringt. Sie vermag so Räume zu schaffen, um spirituelle Erfahrungen machen zu können.

Bei einem Abschiedsritual, das ich für einen verstorbenen Bewohner gestaltete, durften die anderen Bewohner Blumen in ein kleines Holzboot legen als Symbol für die letzte Reise. Wir sprachen ein Gebet, welches dem Verstorbenen wichtig war. Begleitend spielte ich ein Stück auf der Altflöte. Musik kann in der Seelsorge eine Brücke zu tiefen, oft verschütteten Erinnerungen schlagen. Die Augen eines Bewohners strahlten fasziniert auf das Notenblatt und er erinnerte sich plötzlich daran, dass er früher sehr gerne Klavier gespielt hatte. In diesem kurzen, klaren Moment sprach er über seine Angst vor dem Tod und die Ungewissheit darüber, was danach kommt. Es blieb mir nur das Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes, der die Aussagen dieses sehr flüchtigen Momentes, vertiefen und aufarbeiten wird.

Eine Patientin mit fortgeschrittener Demenz, die nicht mehr sprechen konnte, jedoch noch in der Lage war zu laufen, begleitete ich auf einen Spaziergang im Garten. In solchen Momenten geht es darum, auf die nonverbalen Signale zu achten. Wohin streift der Blick, an welchen Dingen verweilt die Dame. Wir sammelten Gegenstände und setzten uns, um diese gemeinsam vor uns auszulegen. Ich bot ihr an, an den Blättern und Blumen zu riechen und sie zu betasten, während ich ihre Reaktionen aufmerksam beobachtete. Solche Momente bieten die Gelegenheit, auf das Bekannte aus ihrer religiösen Biografie einzugehen. In diesem Fall sprach ich über die Schöpfung, über die Dankbarkeit, dass Gott uns so reich beschenkt hat. Diese Momente der stillen Kontemplation in einem einfachen Ritual ermöglichen eine tiefe, nonverbale Verbindung zur spirituellen Dimension.

Wie losgelassenen Sprungfedern in den Worten meiner Bewohner, so federt Gottes Liebe unsere Unsicherheiten und Ängste ab. In scheinbar wirren Gesprächen, aber auch klaren Momenten finde ich den Hauch des Heiligen Geistes. Wie ein sanftes Flüstern, das uns alle als Geschöpfe Gottes verbindet. Im Tanz der göttlichen Liebe, der Perichorese die uns mit der Dreiheit verbindet, liegt die tiefste Wahrheit: Alles hat einen Wert, nichts ist sinnlos. Ich bin überzeugt, dass Glaube und Spiritualität immer gegenwärtig sind, selbst in den verborgensten Winkeln unserer Seelen.

Weitere Geschichten finden Sie hier: www.demenzgeschichten.ch