Text von Anita Handschin-Müller Erfahrung mit Basaler Stimulation
Frau Huber, 93 Jahre alt lebt seit 10 Jahren im Wohn- und Pflegeheim. Seit nun 8 Jahren auf der weglaufgeschützten Demenzstation und seit mehreren Jahren ganz in ihrem Lebensraum Bett zu Hause. Mit der fortschreitenden Krankheit hat sich Frau Huber weiter verändert, ihr Körper hager und fragil, ihre selbstgewählte Körperhaltung ist gekrümmt und in sich zusammengezogen, so als suche sie Halt und Orientierung in sich selbst.
Mit einem Studierenden der Langzeitpflege betrete ich das Zimmer von Frau Huber, gemeinsam möchten wir Kontakt aufnehmen zu Frau Huber und die Morgenpflege mit ihr gestalten. Wir wissen, dass dies nicht immer einfach ist, nur über die Sprache erreichen wir Frau Huber nicht mehr ausreichend. Es ist ihr vielmals nicht verständlich, was die Pflegenden mit ihr machen möchten. In ihrer Angst und ihrer Verzweiflung beginnt Frau Huber dann zu schreien und zu schlagen, kommt selbst in eine enorme Stress Situation.
Unser Auftrag ist es, Frau Huber in ihrer momentanen Situation zu erreichen, mit ihr in Kontakt zu treten und sie erleben zu lassen, dass wir nichts Böses tun.
Wie machen wir das?
Wir begrüssen Frau Huber so, dass sie uns sehen und verstehen kann. Wir sprechen sie mit ihrem Namen an, sind in unserer Präsenz ganz bei Ihr, lächeln sie an, berühren sie an ihrer Schulter, so dass sie unsere Präsenz auf verschiedenen Ebenen wahrnehmen kann. Wir lassen ihr Zeit, sie soll in ihrem Tempo bei uns ankommen. Unsere Sprache wird langsamer, Worte werden weniger. Aber unsere Hände sind wichtig, sie sind bedeutsam. Über unsere Berührung vermitteln wir Frau Huber wichtige Informationen. Wir sind hier und unsere Hände sind aufmerksam und achtsam in den Reaktionen von Frau Huber, halten inne, wenn es zu viel, zu schnell wird. Über unsere Hände geben wir Frau Huber bewusste Informationen zu ihrem liegenden Körper im Bett. Sie darf ihre Grenzen spüren, sich selbst erfahren. Um Bewegung einzuleiten und zu unterstützen, schaukeln wir Frau Huber mit dem Leintuch, auf dem sie liegt. Es umhüllt, grenzt ab und die schaukelnden Bewegungen soll an die Erfahrung im Mutterleib anknüpfen. Leicht Summe ich dazu eine Melodie und versuche eine zusätzliche Brücke zu schlagen. Der hagere, ausgemergelter Körper von Frau Huber lässt Spannung los, das Gesicht wird weich, die Stirnfalten glätten sich und plötzlich beginnt Frau Huber mit dem Kopf zu nicken, nimmt den sanften Rhythmus der Bewegung auf und meint; «Oh ist dies schön.»
Basale Stimulation arbeitet mit elementaren körperbasierten Anregungen. Im Zentrum steht die menschliche Begegnung. Das Konzept wurde vom Sonderpädagoge Andreas Fröhlich in den 1970-ger Jahren entwickelt und gemeinsam mit Christel Bienenstein für die Krankenpflege adaptiert. Basale Stimulation ermöglicht es individuell bei der Begleitung und Pflege von Menschen mit Wahrnehmungseinschränkungen zu arbeiten und ihre Selbstbestimmung zu unterstützen.
Als Pflegende habe ich auf der Intensivstation mit Menschen in bedrohlichen Situationen, sediert, beatmet und mit vielen Katheter versorgt gearbeitet. Das Konzept gab mir Wissen, dass ich anwenden konnte Pflege verständlich zu gestalten. Der Mensch ist da und spürt, nimmt wahr über seine Sinne bis zum letzten Atemzug. Ich als Pflegende habe den Auftrag den Weg zum Betroffenen zu finden und den Kontakt zu gestalten.
Jetzt in meiner Funktion als Berufsbildnerin in der Langzeitpflege, in der Betreuung von Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind oder auf der Palliativstation in der Begleitung in der letzten Lebensphase treffe ich auf Menschen, die ebenfalls eine veränderte Wahrnehmung haben. Auch hier geht es um Begegnung, in Beziehung treten. Es geht darum, Verständlich zu machen, wenn Worte nicht mehr erreichen und nicht ausreichen. Es heisst dann, Reaktionen aufzunehmen, aufmerksam darauf antworten und so Selbstbestimmung ermöglichen. Ein Dialog auf verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung. So fühle ich mich als Pflegende durch das Konzept, gestärkt mit Wissen, dass ich vorleben und meinen Lernenden erklären und begreiflich machen kann, damit sie die Begegnung mit Betroffenen Menschen sicher gestalten können.