Medizin & Seele

Start ins neue Jahr Der Fotograf Gottes

Lic. Theol.
Johannes Utters
Johannes Utters
"Ich dachte sie seien der Fotograf"
06. Januar 2022

Als ich ins Zimmer kam, hatte Frau M. bereits einiges geleistet. Die Mitte 80ig jährige hatte sich wegen der eingeschränkten Mobilität für eine Knieoperation entschieden. An dem Morgen war sie das erste Mal nach dem Eingriff duschen und hatte bereits eine volle Trainingseinheit mit der Physiotherapie hinter sich. Nach meiner Begrüssung und Vorstellung platzt der Satz einfach so aus ihr heraus.

Der Fotograf Gottes
Der Fotograf Gottes


Über diesen humorvollen Einstieg kamen wir sehr schnell ins Gespräch. Frau M erzählte vom Schmerz des Verlustes – ihr zweiter Mann war vor 3 Jahren gestorben – und von der Freude und dem Stolz auf die beiden Töchter.


Das Angebot von mir ihr einen Segen zu zusprechen für das nach Hause gehen, öffnete die Tür in ihr inneres und sie erzählte von dem grossen Lebensschmerz.


Dem Schmerz, als ihr erster Mann sie verlassen hat. Damals waren die beiden Töchter noch klein gewesen. Neben dieser Erniedrigung als Frau nicht mehr zu genügen, kam die Verurteilung durch den Papst. Sie hatte es so verstanden, als geschiedene Frau nicht mehr zur Messe gehen zu dürfen. Verlassen und dann noch ausgeschlossen, ja ausgestossen von der Gemeinschaft, in der sie sich beheimatet gefühlt hat.


Doppelt bestraft.


"Wisst ihr nicht, dass ihr Tempel Gottes seid und die Geistkraft Gottes in euch wohnt"(1 Kor3,16)


Frau M. nahm mich mit in ihr ganz persönliche Heiligtum. Sie zeigte mir in ihrem inneren Tempel ihre grosse Wunde, die Schönheit ihres Seins und die Kraftquelle, die es ihr ermöglicht hatte nach dieser Verwundung weiterzuleben.
Ausgeschlossen zu werden von der Beheimatung, dieser Schmerz , den sie vor über 40 Jahren erleiden musste, hat es ihr verunmöglicht den Segen eines Seelsorgers anzunehmen.
Einem Fotografen konnte sie alles erzählen, anvertrauen und vom göttlichen sogar sich segnen lassen.


Verabschiedete hat Frau M. mich mit den Worten:
"Für mich bleiben Sie der Fotograf"