Medizin & Seele

ENHCC, Webinar Mai 2021 European Network for Health Care Chaplaincy

Mag. Theol.
Veronika Jehle
Veronika Jehle
Seit 20 Jahren besteht das europäische Netzwerk, in dem sich jährlich Spital- und Klinikseelsorgende aus verschiedenen Ländern zum Austausch, zur Reflexion und zur Weiterentwicklung des Berufsbildes treffen. Pandemiebedingt fand die Tagung in diesem Jahr als Webinar statt. Vier Frauen aus der Schweiz haben an dem Horizont erweiternden Seminar teilgenommen.
26. Juli 2021

Im vergangenen Jahr 2020 hätte das ENHCC das 20. Jubiläum seines Bestehens auf Kreta gefeiert. Pandemiebedingt musste das Treffen ausfallen. So kam es nun 2021 dazu, dass die 16. Versammlung des Europäischen Netzwerks für Spitalseelsorge, des ENHCC, erstmals online im Rahmen eines Webinars tagte. Von 12. bis 14. Mai 2021 jeweils nachmittags versammelten sich 90 Teilnehmende aus verschiedenen religiösen Traditionen aus 26 Ländern der EU sowie aus den USA. Die Schweiz vertraten für die reformierte Spitalseelsorge Maria Borghi-Ziegler (Universitätsspital Zürich) und Ingrid Zürcher (Inselspital Bern) sowie für die katholische Spitalseelsorge Veronika Jehle (Kantonsspital Winterthur) und Lisa Palm (Dienststelle Spital- und Klinikseelsorge).

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Gerahmt war die Tagung durch Zeiten des Gebets und der persönlichen Meditation.

Forschende aus Spiritual Care und Spitalseelsorge präsentierten Ergebnisse zu Erfahrungen während des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie. Es wurden sechs verschiedene Erfahrungsberichte vorgestellt, von denen die Teilnehmenden zwei genauer anschauen und in kleinen Gruppen diskutierten konnten. Die Themen waren:

  • Eine Befragung in sechs schottischen Alters- und Pflegeheimen zu «Präsenz, virtuelle Präsenz, Abwesend sein».
  • Eine Studie aus Irland zu «Seelsorgerliche Nähe mit physischer Distanz» während der Covid-Krise.
  • Eine persönliche Reflexion aus England zu «Seelische Gesundheitsversorgung während der Covid-19 Krise in England».
  • Reflexion über die Aspekte von Seelsorge im Gesundheitsbereich, die verloren gingen, gewonnen wurden oder unwirksam wurden während der Covid-Krise anhand einer Umfrage in Europa, Australien und der USA.
  • «Besorgt, aber kraftvoll»: Reaktionen und Selbstfürsorge von Seelsorgenden im Gesundheitsbereich während der Covid-19 Pandemie in Europa und in den USA.
  • «Wir müssen von dem lehren, was wir gelernt haben»: Mögliche Auswirkungen von Covid-19 auf die Ausbildung und Weiterbildung von Seelsorgenden in Europa und in den USA.

Ein weiteres Thema war die Dokumentation von Spitalseelsorge im klinischen Kontext. Dazu wurde uns eine Empfehlung («White Paper») zur Diskussion vorgelegt. Als Spezialisten aus dem Schweizer Umfeld leisteten Simon Peng-Keller, Pascal Mösli, David Neuhold und Traugott Roser (Deutschland) einen Beitrag zur Diskussion, durch eine Präsentation vor dem Plenum, durch Moderation und Co-Autorenschaft des «White Papers».

Zu dieser Empfehlung wurden in Gruppen Rückmeldungen gesammelt. In der Gruppe mit Teilnehmenden aus dem deutschsprachigen Erfahrungshorizont wurde deutlich, dass ähnliche Themen aktuell waren, wie zum Beispiel der Umgang mit dem Seelsorgegeheimnis.

Als wichtiger Schritt hin zu einer einheitlichen Dokumentation wurde ein Vorschlag für einen gemeinsamen Aufgabenkatalog («Taxonomie») für Spitalseelsorgende in Europa präsentiert. Dieser wurde ebenfalls in Gruppen diskutiert und bearbeitet. Er soll an der Konsultation im nächsten Jahr in bearbeiteter Form vorliegen.

Die nächste ENHCC-Versammlung ist geplant für 11. bis 15. Mai 2022 auf Kreta.

Forschungsergebnisse finden sich auf der international vernetzten europäischen Forschungsplattform für Seelsorgende im Gesundheitswesen «European Research Institute for Chaplains in Healthcare ERICH» mit Sitz am Institut für Praktische Theologie an der Belgischen Universität KU Leuven.

European Networks for Health Care Chaplaincy ENHCC

http://www.enhcc.eu

European Research Institute for Chaplains in Healthcare ERICH

https://www.pastoralezorg.be/page/erich/

Beginnend mit einer 1. Versammlung im Jahr 1990 in Berlin, wurde das ENHCC in der heutigen Form im Jahr 2000 während der 6. Versammlung auf Kreta gegründet. Das Forschungsnetzwerk ERICH wurde 2017 durch das ENHCC initiiert.

Veronika Jehle und Maria Borghi-Ziegler

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Persönliche Erfahrungen und Eindrücke von Veronika Jehle, Seelsorgerin am Kantonsspital Winterthur

Die drei Nachmittage des ENHCC Webinars haben meinen Horizont erweitert: im Bereich Spitalseelsorge hat es meine Verankerung im Spital und im Kanton Zürich für die internationale Dimension geöffnet. Es war für mich bewegend zu sehen, wie viele Menschen aus verschiedenen Traditionen und Religionen sich im gemeinsamen Geist einsetzen für Patientinnen und Patienten in den Spitälern. Dass Forschung auf professionellem Niveau international vernetzt betrieben wird, war mir in dem Ausmass bislang noch nicht bewusst gewesen. Ich habe den Austausch als bestärkend und klärend erlebt, gleichzeitig habe ich eine Reihe Anregungen mitgenommen, die in den Bereich von wissenschaftlich fundierter Reflexion gehen. Vor allem hätte ich jetzt den Wunsch, den Kolleginnen und Kollegen der katholischen und reformierten Spitalseelsorge sowie interessierten muslimischen Begleiter*innen den Zugang zu dieser Forschung und zum Netzwerk der Seelsorgenden näher zu bringen bzw. «schmackhaft zu machen», sodass das Wissen und Erlebnis von ENHCC nicht ausschliesslich auf die beiden Delegierten fokussiert bleibt. Ohne dass jede und jeder an internationalen Tagungen physisch teilnehmen könnte, gäbe es doch den einfachen digitalen Zugang zu den reflektierten Erfahrungen anderer und darüber auch die Möglichkeit, dort und da an passenden Forschungsprojekten teilzunehmen. Beides würde der Weiterentwicklung und Professionalisierung unserer Profession vor Ort und auch international dienen.

Ich erlebte die ENHCC Tagung gut und professionell vorbereitet und gestaltet; gleichzeitig habe ich auch viel Herzlichkeit empfunden. Die liebevoll gestalteten Meditationen und das eigenes verfasste Lied haben sogar im digitalen Umfeld den Raum für Besinnung und Begegnung vertieft.

Konkrete Punkte, die mir allgemein relevant scheinen und die ich gerne mit den Kolleg*innen teilen würde:

  • Das Arbeiten mit «PROMs» (Patient Reported Outcome Measures/Fragebögen für Patient*innen zu ihrem Zustand und ihren Bedürfnissen): Es würde ermöglichen, jene gezielter zu erreichen, die sich selbst in Zuständen seelischer Not erleben. Wäre der Einsatz von PROMs dazu bei uns vor Ort einen Versuch wert?
  • Wer regelmässig Informationen über Forschungsergebnisse und Studien im Bereich Spiritual Care und Seelsorge bekommen möchte, ist willkommen und herzlich eingeladen, sich zu registrieren für die zwei Journals (auf Englisch):

    Journal of Pastoral Care and Counseling

    https://journals.sagepub.com/toc/pcca/75/1_suppl

        Journal of Health and social care chaplaincy
        https://journals.equinoxpub.com/HSCC/issue/view/2770 

  • Vielleicht wäre es eine Idee, Spiritual Care Giver aus anderen Religionen aus der Schweiz einzuladen, im nächsten Jahr an der Konsultation teilzunehmen? Vor allem denke ich an die freiwilligen muslimischen Seelsorgenden.
  • Sobald eine deutsche Version des «White Paper» zur Dokumentation im klinischen Kontext vorliegt, würde ich diese gern den katholischen und reformierten KollegInnen  und Kollegen zur Verfügung stellen bzw. schicken.

 Veronika Jehle

 

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Persönliche Eindrücke von der Seelsorgetagung des ENHCC von Maria Borghi-Ziegler, Seelsorgerin am Universitätsspital Zürich

Die Tagung war den Umständen entsprechend sehr gut vorbereitet und auch geleitet. Es gelang den Organisatoren, trotz der räumlichen Distanz eine Atmosphäre herzlicher Zugewandtheit zu schaffen.

Der Austausch von persönlichen Erfahrungen anhand der vorbereiteten Papers zeigte, wie nahe wir einander in Europa trotz unterschiedlicher örtlicher Bedingungen sind.

Mich hat berührt, wie engagiert und anpassungsfähig die Seelsorgenden mit den erschwerten Verhältnissen unter Coronabedingungen umgegangen sind. Beeindruckend war aber auch, dass sich die Vernetzung der Seelsorge in den Gesundheitseinrichtungen als entscheidend erwies für den Fortgang der Betreuungsmöglichkeiten durch die Seelsorge.

So hatte z.B. eine langjährige Seelsorgerin, die sich gut vernetzt hatte mit einer Pflegeinstitution, gute Möglichkeiten, auch digitalen Zugang zu den Patienten zu finden. Die stark belasteten Pflegepersonen waren bereit, zusätzlichen Aufwand zu betreiben um zum Beispiel Gottesdienste live zu übertragen. Anderen Seelsorgenden, die in den Institutionen nicht so gut vernetzt waren, wurde sogar diese Möglichkeit verwehrt.

Das Thema der Vernetzung mit dem interdisziplinären Team scheint auch für von der Kirche angestellte Seelsorgende eminent wichtig: Die Ausübung unserer Tätigkeit ist ohne eine solche Vernetzung gefährdet. Das hat die Pandemie klar gemacht.

Die wissenschaftliche Arbeit an einer mit dem Seelsorgegeheimnis kompatiblen Dokumentation ist deshalb vorrangig. Dass wir von der Schweiz her durch Simon Peng Keller und Pascal Mösli prominent vertreten sind in diesem europäischen Projekt sollte uns ermutigen, in unseren Landeskirchen, besonders auch in der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, aktiv zu werden und an möglichen Szenarien zu arbeiten.

Die europäische Tagung stellte uns konkrete Schritte vor, zum Beispiel die Erarbeitung einer gemeinsamen europäischen Terminologie. Ich hoffe sehr, dass unsere Landeskirchen die dringend nötige Weiterentwicklung der Seelsorge in Gesundheitsinstitutionen mittragen.

Maria Borghi-Ziegler

  

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Persönliche Ergänzungen von Ingrid Zürcher, Ressortverantwortliche im Vorstand der Vereinigung der deutschschweizerischen evangelischen Spitalseelsorgerinnen und Spitalseelsorger

Ganz besonders hat mich berührt, wie vom Werden dieses Netzwerkes und von prägenden Persönlichkeiten erzählt worden ist; und ich staunte, dass ausgerechnet ein online-Format so gut etwas vom «Geist des ENHCC» übermitteln konnte. Es wurde offenkundig, was da im Lauf der Zeit gewachsen war.

Mit der Pandemie und den (Forschungs-) Erkenntnissen daraus, die an der Tagung präsentiert worden sind, zeigte sich sehr deutlich, wie die professionelle Seelsorge im Gesundheitswesen gefordert ist, und ebenso, dass ein neuer Aufbruch nötig ist und geschieht. Das Europäische Forschungsinstitut ERICH gibt dazu wesentlichen Schub. Und wunderbar, wenn es gelingt, das Interesse an Kenntnisnahme und Austausch über die eigene Region hinaus bei den Seelsorgerinnen und Seelsorger zu wecken.

Ingrid Zürcher